Montag, Mai 4

20 Jahre Westen


Heute vor 20 Jahren, bin ich mit meiner Familie aus der DDR ausgereist und nehme dieses Jubiläum zum Anlass meine Erinnerungen in diesem Blog zu posten.

Ich war damals 12 Jahre alt und die Bewilligung unseres Ausreiseantrags löste bei mir eher gemischte Gefühle aus. Auf der einen Seite war da die unbendige Freude auf den "Westen", den ich bis dato nur aus dem Westfernsehprogramm kannte und zu 90% mit dessen Werbepausen assozierte. Auf der anderen Seite waren da meine Freunde, die Heimat, meine Großeltern und die Angst vor dem großen Unbekannten, denn die sozialistische Propaganda Maschienerie hatte uns Kinder mit der Tatsache konfrontiert, im "Westen" müssten viele Menschen unter der Brücke leben.

Aber ich war, wie eben schon erwähnt, zwölf! Und schlussendlich überwog die Gier nach Konsumprodukten wie Kellog´s Smacks™, Nutella™, Kinder Schokolade™, Dr. Oetker™ Eiscrem, Lego™ und was Kinder sonst noch so mochten, die schon gelegentlich in den Genuss solcher Mitbringsel aus dem "Westen" gekommen waren.

Wir kamen in einem Auffanglager für Flüchtlinge in Gießen an, in dem unsere Familie zusammen mit anderen DDR Flüchtlingen in einem Kellergang mit Hochbetten untergebracht wurde; was mir als 12 jährigen Jungen völlig egal war, denn ich hatte nur eins im Sinn: Den Duft des Konsums, den ich mir aus gelegentlichen Besuchen im Intershop genaustens eingeprägt hatte.

Meine große Schwester hat mich nach einer kurzen "ankomm" Phase dann endlich erlöst, und ist mit mir losgezogen um den nächsten Supermarkt aufzusuchen. Ich glaube es war noch nicht mal ein Supermarkt, sondern eher ein etwas besser sortierter Kiosk, doch als ich dort drin stand und die Regale sah, war ich einfach nur überwältigt. Die Menge an verschiedensten Produkten in bunten Verpackungen übertraf jeden Intershop.

Wenn ich hier jemanden von den Unterschieden erzähle, können es sich die meisten kaum vorstellen. Deshalb habe ich mal ein Vergleichsbild erstellt! :) Auf dem ersten Blick ist der Unterschied nicht soooo groß, doch auf die Regale der Supermärkte umgelegt und der Tatsache, daß es im Osten von jedem Produkt immer nur ein Fabrikat gab, unterschied beide Konsumwelten erheblich.

Wenn ich heute eine Kinderschokolade kaufe ist das etwas absolut unspektakuläres. Doch gelegentlich besinne ich mich zurück, in die Zeit meiner Kinheit, als ein Kinderriegel aus dem "Westen" nicht zum Essen da war, sondern zum "damit angeben" in der Schule!

Vielleicht schreibe ich in den kommenden Tagen noch ein Erfahrungsbericht aus den "ersten Wochen im Westen". Zum Beispiel das Erlebnis, als ich zum ersten mal mit einem Italiener und dessen Auswahl an 20 verschiedenen Eissorten konfrontiert war, von denen mir nur Erdbeer, Schoko und Vanille ein Begriff waren!